Sonntag, 22. Juli 2018

Schlifi und Schlufi 1 ZWEI SCHILDKRÖTEN AUF ABENTEUERREISE

Schlifi & Schlufi 1
Zwei Schildkröten auf Abenteuer-Reise

von Yddey Brotzer
Zeichnungen Rolf Zingg



Schildkrötenbrüder

Die Schildkrötenbrüder Schlifi und  Schlufi leben seit kurzem im öden Hinterhof mit ein wenig Wiese und kleinem Auslauf. Jeden Tag das gleiche eintönige Futter: faulige Tomaten, modrige Gurken, welker Salat und stinkendes Wasser. Immer die gleich doofen Runden. Es ist zum Verzweifeln.

Das Leben von Menschen, Tieren, Autos und Velos beobachten sie nur durch einen schmalen Durchlass im Hof.

"Ohjee", jammert Schlifi eines Tages, "es ist soo langweilig hier drinnen. Ich bin noch jung und  möchte etwas von der Welt sehen. Was meinst du Schlufi? "

Schlufi, der ältere, denkt kurz nach, und sagt dann:  "Ja, du hast recht, hier drinnen lernen und erfahren wir nichts von dieser Welt da draussen.

"Aber wie kommen wir hier nur raus? " rätselt der kleine Bruder.

"Also ausbrechen sollte kein Problem sein", erwidert der Grosse. Ich habe eine Woche lang, während  du den Mittagsschlaf gehalten hast, dort in der Ecke gelegen und gegraben.
Tatatatiitataa! Das Tor in die ist offen!".
Viel Stolz und Feierlichkeit begleiten Schlufis sorgfältig ausgesuchte Worte.

"Hey, du bist ja total irre", meint Schlifi darauf hin.
"Ich habe gepennt, und du hast geschuftet. Du bist nicht nur der Grosse. Du bist echt der Grösste. "

"Hauen wir nun gleich ab, oder beobachten wir da draussen mal einen Tag lang was alles so läuft?
Es lauern ja viele Gefahren, und wir müssen achtsam sein, wenn wir unsere Abenteuerreise heil überstehen wollen! "Was denkst du ? "

"Na ja, etwas mulmig ist mir schon. Aber was soll's. So eine Chance kriegen wir nie wieder."

Freiheit, wir kommen

Gesagt, getan.
Etwas ungelenk quetscht sich Schlufi durch die enge Öffnung ins Freie. Schlifi ist ihm dicht auf dem Fersen. "He, wart auf mich!"
Es macht „plopp“ und die Welt hat zwei neue Abenteurer.

"Uiiiiiii, wo hast du denn da nur hin gegraben    Schlufi? Schau mal die vielen Menschen.
Autsch, schon der erste Tritt. - Aua, das tut weh! - Wo bin ich denn gelandet?
Schlufi, Schlufii, Hilfe, Ich sehe dich nicht mehr!
Mir ist ganz schwindelig! Schlufiii!"

Schlufi aber ist in Gedanken ganz woanders.
'Was sehe ich denn da?' wundert er sich. Die Rufe des Bruders nimmt er gar nicht wahr.
'Wow, das ist ein Brett auf Rädern, mal sehen, vielleicht taugt das Ding, um uns schnellstmöglichst von hier wegzubringen... Uch, ist das streng. So - zuerst ein Bein, dann das andere.
Hoppla, das fängt an zu fahren, was mache ich nun mit den Hinterbeinen? '

Wie es das Schicksal will, saust unsere kleine Schildkröte nun holterdipolter auf einem Rollbrett mit zunehmender Geschwindigkeit die abschüssige Strasse hinab.
Schlifi erhascht gerade noch einen Blick von seinem Bruder, welcher sich verzweifelt mit den Vorderbeinen am Brett festklammert, während seine Hinterbeinchen in der Luft vergeblich nach einem Halt suchen.
Eigentlich ein putziges Bild, wäre da nicht die Hilflosigkeit in Schlufis Augen...und der dumpfe Knall, als das Gefährt an der Mauer des Nachbarn jäh gestoppt wird.

Und wäre da nicht eine Schildkröte, die bewegungslos neben dem abgebrochenen Rad eines blauen Rollbretts liegt.

Viel Zeit verstreicht, bis Schlifi, völlig ausser Atem, endlich bei seinem Bruder angekommen ist.
"Hey Schlufi, was hast du nur gemacht?" stammelt er ganz verdattert, und ihm ist gar nicht wohl.
"Ist alles ok, kannst du dich bewegen?"

Schlufis Augen zeigen ein Blinzeln durch zwei schmale Augenschlitze.
Also, so schlimm kann der Sturz nicht gewesen sein.

"Ich weiss gar nicht, was passiert ist, das ging alles so schnell", jammert  Schlufi.  "Eigentlich wollte ich nur testen, ob das Ding uns was nützt. Aber was soll's.  Komm, lass uns weiter laufen, bevor uns die Lust an unserem Abenteuer vergeht."
Er ist wieder ganz in seine Rolle als 'grosser Bruder' zurückgekehrt.

Seltsame Begegnung

"Juppi Schlufi, siehst du auch, was ich sehe, dort mitten auf dem Weg? " Die Pfütze lässt das Unglück schnell vergessen. Die beiden laufen schnurstracks darauf zu.

"Komm lass uns darin planschen, schau nur, Spatz Piepmatz plustert sich bereits mit seinen feinen Federn darin auf."

"Was heisst hier Spatz? Hää?"
Der schwarze Vogel setzt sich bedeutungsvoll in Pose.
"So eine Frechheit ist mir doch noch nie untergekommen!" Der Vogel ist ausser sich.
Und mit Schnabel, Flügeln und Füssen drischt der Rabe - und das ist sein richtiger Name - auf die beiden zu Tode erschrockenen Weltentdecker ein, so dass ihnen Hören und Sehen vergeht.

"Aua" und "Aufhören" und "Neiiiinn"sind die Worte, die zu den ausgefallenen Schwanzfedern, die überall verstreut umher liegen, passen.
Und Striemen und Wunden auch.
Tja, die höllischen Schmerzen werden ihnen sicher noch lange in Erinnerung bleiben.

Schlifi meint traurig: " Wenn wir uns nur nicht so unendlich langsam bewegen würden, dann wäre dies alles nie passiert."

"Weisst du Schlifi, irgendwie haben wir uns saudumm angestellt, uns so verhauen zu lassen, von diesem blöden Vogel! Was lernen wir nun daraus?"

"Wir könnten ja immer ganz höflich fragen: Wer bist du denn, und wie heisst du? Damit es keine Missverständnisse mehr gibt, denn so verhauen will ich nie mehr werden! "
Und das ist nicht nur Schlifis Meinung.

Erschöpft hocken sich die beiden an den Strassenrand und begutachten die Umgebung.

Hunger

"Hey, siehst du auch, was ich sehe, Schlufi? Dort drüben in dem Laden gibt's was zu futtern. Sieh nur, wow, frisches Obst und Gemüse, nicht so lampiges Zeugs, wie bisher! Aber ohjee, ohjee, das  Paradies liegt auf der anderen Strassenseite! Etwas zum Mampfen aber wäre nicht schlecht, was meinst du? Schau, ein Stück weiter vorne sehe ich auf der Strasse diese gelben Streifen, da eilen die Menschen darüber. "

Schlufi denkt nach. Also, wenn wir mit unserem Tempo über die Streifen schnecken, dann sind wir mehrfach tot, eh wir auf der andern Seite ankommen. Wir müssen uns was einfallen lassen. Schliesslich sind wir clever.
 Auch in Schlifis Kopf scheint sich was zu tun.
"Ich hab's!" rufen beide gleichzeitig, wie aus der Pistole geschossen."Zuerst du!" "Nein. du!"
Natürlich ist es wieder Schlifi, den es fast zerplatzt, bis er seinen Vorschlag mitteilen kann.

"Schau Schlufi, mit meinen Adleraugen habe ich was entdeckt: Dort vorn, auf unserer Strassenseite, hängt an der Dachrinne jenes kleinen verlotterten Hauses ein Tier. Kannst du es sehen?"

"Tatsächlich! Ein Affe. Der ist sicher ebenfalls ausgebüxt; aus dem Zoo oder Zirkus" meint Schlufi."

Und Schlifi fährt weiter: "Den könnten wir doch fragen, ob er uns auf seinem Rücken, oder auf den Händen hinüberträgt".

Schlufi blickt seinen Bruder kritisch an.

"Ok, ok. Ich verstehe. Wie sieht denn dein Vorschlag aus?  Schlufi, hey komm erzähl schon! "

"Also, ich denke mir, dass wir vor diesen Streifen dort stehen und auf eine ältere Frau warten, die einen Einkaufswagen hinter sich herzieht. Dann hocken wir uns vor sie hin, heben unsere Köpfe  und machen auf „Tollsten Augenaufschlag“. Und da alte Leute oftmals sehr weise sind, weiss sie sicher, was wir wollen, hebt uns hoch und steckt uns in ihren Wagen und zieht uns über die Strasse. Und weil ja jeder weiss, was Schildkröten mögen, kauft sie uns noch etwas zum Futtern."

Unerwartete Hilfe

"Alles Quatsch!" krächzt es bedrohlich in ihre Ohren.
"Huch, Schlufi, der böse Vogel ist zurückgekehrt." Unbeweglich vor Schreck starren die beiden Brüder auf den Raben.
"Keine Sorge!" macht dieser und winkt mit einem Flügel ab. " Ich hab die Beleidigung weggesteckt. Ihr wusstet es ja nicht anders. Ihr Landeier." Und ein Lächeln huscht über seinen beeindruckenden Krummschnabel.

"Schaut nochmals zum Fussgängerstreifen. Linkerhand seht ihr ein Rohr. Da fliesst ein Bach unter der Strasse durch. Kraa. So kommt ihr mühelos auf die andere Straßenseite. Denn für die Strasse müsst ihr viel schneller werden, wenn euch euer Leben lieb ist."
Und bevor die beiden verdatterten Schildkröten auch nur 'danke' sagen können, ist der Schwarze wieder wie vom Erdboden verschwunden. Ja, das ist wirklich die beste Lösung. Und recht hat er erst noch: Schneller mussten sie werden.

"Also dann auf zu neuen Abenteuern !" ruft Schlifi fröhlich, "mein Hunger wird nicht kleiner."

"Aber pass bloss auf dich auf, Bruderherz. Schwimmen ist nach dieser langen Zeit des Eingesperrtseins nicht gerade unsere Stärke!"

Voller Neugier ziehen jetzt die beiden los, Richtung Röhre.

"Herrjemine, sieh dir nur dieses steile Ufer an, das zum Wasser hinunter führt ! " ruft Schlufi ängstlich. "Die Röhre beginnt ja erst weiter vorne."

"Ach, komm lass uns ein Wettrennen  machen ", lockt Schlifi, "das wird lustig. Hinunter laufen unsere Beine ja wie von selbst."
Ja, für ein Wettrennen ist Schlufi immer zu haben. Und schon geht bei beiden die Post ab..

"Uiuiui, mir wird ganz komisch",  jammert Schlifi.

 Schlufi, dieses Mal der Clevere, frohlockt: "Ätsch, ätsch, ich bin schon im Wasser! He, ist ja ein Rennen." Und schon plumpst auch Schlifi hinein.

Auf den leichten Wellen des Baches gleiten sie in ihren Panzern in die dunkle Röhre.

Es wird dunkler und dunkler. Aber bevor es Schlifi mit der Angst zu tun bekommt, meldet sein Bruder:  "Land in Sicht, gewonnen!"
"Du hast aber auch den grösseren Panzer, das ist unfair!"

"Ja, und da passt ordentlich Futter rein.
Aussteigen ! Jetzt geht's ab ins Paradies."


Es regnet Futter

Die beiden Schildkröten klettern voller Vorfreude auf eine Schlemmermahlzeit die Böschung hoch.

«Bravooo !» krächzt da die wohlbekannte Stimme.  "Ihr seid lernfähig, habt ihr ordentlich hingekriegt diese Schwimmerei. Aber nun geht's Richtung Futter, los kommt, dalli, dalli. "

"Hey, du da ", meldet sich Schlifis etwas ärgerliche Stimme."
Wenn du unser Freund und Helfer werden willst, so verrate uns erst mal deinen Namen!"

"Kra, kra», krächzt der Rabe heiser zurück, "ob ich euer Freund werden will, muss gut überlegt sein. Also los, ihr beiden lahmen Säcke, beeilt euch etwas, sonst ist der Laden ausverkauft, und ihr müsst weiter hungern! Meinen Namen werde ich euch verraten, wenn unsere Bäuche satt sind."

Das ungleiche Trio macht sich auf den Weg.

Noch bevor die drei den Lebensmittelladen erreichen, setzt sich der Rabe in ihre Mitte und seine Stimme wird zu einem Flüstern. „Wartet hier! Für drei  hungrige Mäuler könnte es gefährlich werden. Bleibt da in der Ecke. Ich bringe euch das Futter.“

Und bevor die beiden Schildkröten auch nur ‘pap' sagen können, regnet es frischen Salat, knackiges Gemüse, saftige Tomaten, ja alles, was ihr Herz begehrt, auf sie nieder.
Wieder und wieder fliegt der Rabe seine Runden mit immer neuen Leckereien im Schnabel, die er auf die beiden niederfallen lässt.

Solange, bis der  Schrei einer menschlichen Stimme, gefolgt von einem lauten Knall, die Luft zerreisst. Dann hört der Segen aus der Luft so plötzlich auf, wie er gekommen ist.
Den beiden bleiben die Bissen im Mund stecken, und sie blicken einander erschrocken an.

"Nichts wie weg!" meint Schlufi und die beiden machen sich, so schnell es eben geht, aus dem Staub.

Da laufen sie nun beide, wie von der Tarantel gestochen, und ohne sich umzusehen - wohin überhaupt?  Weg - einfach weg.

Doch nicht allzu lang. Schon bald bleibt Schlifi erschöpft stehen und stöhnt völlig ausser Atem: "Hach Schlufi, schau mal wo wir sind, mitten in einer bunten Blumenwiese. Riechst du, wie herrlich es duftet? Lass uns bitte eine Weile ausruhen, ich bin am Ende meiner Kräfte. "

Onkel Egon

"Kra, kra!" tönt es da plötzlich über ihnen, und wie auf Kommando blicken beide in Richtung Himmel.
Was sie da erblicken, verschlägt Ihnen für einige Sekunden die Sprache!

"Ich fasse es nicht, was meine Augen da erspähen", wimmert Schlifi, "unser Freund lebt noch !"

"Tja, ist ein schlechter Schütze, dieser Lebensmittelhändler. Pech für ihn, Glück für mich. Und ihr?  Seid ihr satt geworden?"
Ohne eine Antwort abzuwarten fügt der Rabe noch bei: "Übrigens, ich heisse Krah."

"Freut mich, ich bin Schlufi und..." " Ich weiss, und der andere da, das ist Schlifi!" fällt ihm der Rabe ins Wort. " Die langsamsten Schildkröten der Welt. Haha haha."

"He, he!" drohen die beiden, aber der Rabe fährt fort: "Das waren noch Zeiten, als euer Onkel Egon lebte."

Egon?
Ja, Mutter hatte den beiden immer wieder von ihrem sagenumwobenen Verwandten erzählt. Er soll ein Kraut gefunden haben, das ihn 'schnell,  wie der Blitz' machte.
Ein Tausendsassa. Ein Pfundskerl. Vorbild für Generationen von Schildkröten. Der Stolz der Familie eben.
Die Zeitungen waren damals voll von seinen Abenteuern. Turboschildkröte haben sie ihn genannt. Panzerferrari. Raketenegon.
Er lebte eine Art Leben am Rand der Lichtgeschwindigkeit - mit tragischem Ende allerdings. Von seiner Reise zum Mond ist er nicht mehr  zurückgekehrt…

Vom Wunderkraut

Und während die beiden so gedankenverloren in ihren Erinnerungen versinken,  merken sie gar nicht, dass der Rabe sich schon wieder verabschiedet hat.

Einige Zeit später schauen sich die beiden allerdings verdutzt an und wundern sich über Krahs schnellen Abgang!
Schlifi überlegt kurz: „ Komm Schlufi, lass und das Wunderkraut suchen; wir müssen schneller werden, wenn wir unser Abenteuer fortsetzen und heil überstehen wollen! "

"Tja, und wie wollen wir das anstellen?" fragt Schlufi nachdenklich?

"Da ist guter Rat wieder einmal teuer. Probieren wir jene die gut riechen, oder solche die extrem stinken? Was ist wenn wir Bauchschmerzen bekommen oder noch langsamer werden? "

"Es muss überall gewachsen sein ", erwidert Schlifi. „Gemäss Mutters Aussage futterte Onkel Egon dieses Zeugs ja dauernd, damit er sein Tempo behalten konnte!
Komm Schlufi, wir ziehen los!"

"Kra, Kra," tönt es in diesem Moment von oben. "Ihr macht euch wohl auf die Socken nach diesem Wunderkraut. Soll ich euch behilflich sein? "

"Du erscheinst wohl immer im richtigen Moment. Belauschst du uns etwa heimlich?" fragt Schlufi etwas verärgert.

"Hey, ich weiss, wo dieses Zeugs wächst, und könnte euch dorthin führen, wenn ihr wollt? Hier findet ihr eh nichts, es wächst nur dort, wo die Sonne den ganzen Tag scheint.
Egon hat mir das höchstpersönlich anvertraut. Habe ihn schliesslich etliche Male begleitet.
Ich könnte langsam vorausfliegen. Und ihr gebt etwas Gas, sofern das möglich ist, und folgt mir."

Hätten die beiden gewusst, worauf sie sich da einlassen, sie wären bestimmt nicht mitgekommen. Rauf und runter geht die Reise. Wieder und wieder. Stundenlang sind sie unterwegs. Sie leiden Hunger und Durst. Die kleinen Füsse schmerzen und doch will keiner der erste sein, der aufgibt. Tapfer setzen sie Fuss vor Fuss.

Auf dem Zauberberg

Endlich kommen sie am Ziel an.
Krah begrüsst die Neuankömmlinge mit einem eindrücklichen langen Gähnen. "Na endlich, ich dachte mir schon, dass ihr unterwegs kehrt gemacht habt. Jedenfalls willkommen auf dem Zauberberg."

Zauberberg? Ist das nicht der unheimliche Ort, an dem es nachts spukt? O nein. Das darf nicht wahr sein.

"So, Freunde. Hier müsst ihr die Nacht verbringen. Wie ihr seht, geht die Sonne gleich unter. Und das Feenkraut, das wir suchen, muss bei Sonnenaufgang gepflückt werden."

"Was heisst 'ihr'?" will Schlufi wissen.

"Nun, ich verkrümle mich mal runter ins Tal. Dort setze ich mich auf den höchsten Baum. Vögel schlafen nun mal auf Bäumen. Und hier oben hat's ja keine. Oder seht ihr welche? Mitnehmen kann ich euch leider nicht. Ihr habt ja gesehen, wie anstrengend die Wanderung auf den Zauberberg ist. Wir müssten wieder losmarschieren, noch eh wir unten wären. Aber ihr habt ja eure eigenen Schlafhäuser dabei." Der Rabe zwinkert dabei mit dem einen Auge. Dann winkt er den beiden ein letztes Mal zu und fliegt davon.

"Ich bin vor Sonnenaufgang wieder hier. Versprochen." Und weg ist er.

Bange Nacht

Schlifi glaubt zu spüren, wie sein Herz zu schlagen aufhört. Und Schlufi ist zur Salzsäule erstarrt.

Es dauert etliche Zeit, aber allmählich erholen sich die beiden von ihrem Schrecken, so alleine gelassen zu werden an diesem mystischen Ort.

"Komm Schlifi, reissen wir uns zusammen",
flüstert Schlufi ihm ins Ohr. "Schliesslich sind wir auf Abenteuer und Spannung aus. In dieser einsamen Nacht können wir beweisen, was wir drauf haben. "
Die beiden strecken alle ihre Glieder, so dass wieder Energie in ihre starren Körper fliesst.

"Lass uns gemeinsam einen geschützten Schlafplatz suchen, "spricht Schlufi mit mutiger Stimme.
"Ich laufe heute keinen Schritt mehr freiwillig!"
"Schau , da vorne ist eine kleine Vertiefung ", ruft Schlufi! "Da kuscheln wir uns ganz fest aneinander."
"Ok, bin einverstanden ", murmelt sein Bruder.
Müde schleppen sie sich in diese kleine Delle und es vergeht keine Minute, bis beide tief und fest schlafen.....

"Schlufi, hey Schlufi, wach doch endlich auf!" wimmert Schlifi plötzlich mitten in der Nacht.
Schlufi ist ganz benommen, öffnet die Augen, weiss im Moment nicht, wo er sich befindet, möchte einfach nur weiter schlafen!
Schlifi gibt keine Ruhe, und stupst ihn bis er endlich wach ist.

"Schlufi, schau mal diese kleinen weissen Punkte, die da tanzen am Himmel, mir ist nicht geheuer. Ist das etwa Onkel Egons Geist, der uns da winkt, oder sämtliche Geister aller verstorbenen Schildkröten? Huch ich habe solche Angst!!!"
In wachsender Panik fährt er fort:
"Und Schlufi, hinter uns diese zwei leuchtenden roten Punkte, die uns anstarren, uiiiiii mir graut fürchterlich. Weiss du, ich bin aufgewacht weil mich etwas geschubst hat, da öffnete ich die Augen, sah mich um und entdeckte all diese unheimlichen Dinge. "

Jetzt muss Schlufi, den misslichen Umständen zum Trotz, doch etwas schmunzeln. "Also die weissen Pünktlein müsstest du eigentlich kennen. Das sind  Glühwürmchen. Sie sprechen zwar nicht, aber sie verstehen unsere Sprache. Ihr Glühwürmchen, macht ihr für uns einmal eine Leuchte? Bitte."

Und wie von einem Zauberstab berührt, rücken die weissen Punkte näher und näher zusammen, bis sie eine grosse Leuchtkugel bilden, die die nähere Umgebung taghell ausleuchtet.
Jetzt sieht man auch deutlich das Rot in den Augen des Rehs, das sich hinter den beiden Neuankömmlingen neugierig herangepirscht hat.

"Hey Schlufi, bist ein wahrer Zauberer. Herr über die Glühwürmchen!" Schlifi spricht schon fast mit fester Stimme, bevor diese mit dem Auseinanderfliegen der Glühwürmchen wieder in ein Flüstern mündet. Denn schnell wird es wieder schwarze Nacht.

"Lass uns noch ein wenig schlafen", schlägt der Ältere der beiden vor. "Morgen wird es wieder streng."

Zwar drückt Schlifi seine beiden Augen fester zu als gewöhnlich, von Schlaf aber kann keine Rede sein. Zu unruhig scheint die Welt um ihn herum.
Da ein Rascheln, dort ein Knistern, hier ein Ächzen, dort ein Stöhnen, dann ein Rasseln und ein Scheppern. Immer und allüberall aber ein Knacken und Krachen, ein Schleifen und Flüstern, ein Raunen und Rumoren. Kurz: Die Sinfonie des Grauens in den Ohren von Schlifi. Und – ehrlich gesagt - auch in den Ohren von Schlufi.

Die beiden graben sich tief in den Sand ein. Schlifi drückt sich ein zweites Mal in dieser Nacht ganz fest an seinen Bruder. Aber erst viele bange Ewigkeiten später schlafen beide endlich tief und fest.

Das Feenkraut tanzt

Ein lautes Krächzen weckt die beiden erneut, die das Gefühl haben, erst grad eingeschlafen zu sein.
Sie räkeln und strecken sich, bis sie einigermassen wach sind.

"Ach, du schon so früh !" ruft Schlufi dem Vogel zu.
"Was früh, ihr beiden Penner! Es ist schon bald Sonnenaufgang! Hey, ihr wisst was auf dem Plan steht heute, also dalli dalli! Ich habe bereits gefuttert, und ihr beide füllt jetzt euren Bauch, damit es dann endlich los gehen kann. Hopp, hopp ihr ewigen Schlafsäcke! "

"Gras und Blumen auf dieser Wiese sind ja nicht gerade unser liebstes Menu", motzen beide.
"Hoffentlich führt uns dieser Kerl nicht an der Nase herum", flüstert Schlufi während des Essens.
"Mir ist dieser Typ mit der grossen Klappe immer noch nicht ganz geheuer. "

"Hey Krah!" bringt sich Schlifi in die Unterhaltung mit dem Raben ein. "Weisst du eigentlich, was wir letzte Nacht alles erlebt haben? "

"Will ich gar nicht wissen", erwidert Krah ungehalten. "Esst endlich fertig, damit wir starten können. Ich kann es nämlich kaum erwarten, dass ihr fast so schnell laufen könnt, wie ich fliegen! "

Krah erklärt den beiden, dass bei Sonnenaufgang einige Blumen tanzen und glitzern werden, ganz so wie in einem Feuerwerk. Diese müssten sie sofort pflücken. Er, Krah, würde sie anschliessend einsammeln und auf einen Haufen legen.

Und tatsächlich: Als die Sonne erscheint, gibt es auf dem Zauberberg einige wenige unter den abertausend gleichartigen Pflanzen, die sich deutlich unterscheiden. Diese funkeln und glitzern und scheinen andauernd die Grösse zu verändern.
Die beiden Schildkröten haben einiges an Schwerarbeit zu leisten, bis der Zauber vorüber ist.
Und der Rabe hat unterdessen eine eindrückliche Sammlung des Feenkrautes angelegt.

Es ist natürlich Schlifi, der als erster davon probieren möchte. Er nimmt sich eine Riesenportion, schliesst kurz die Augen
und - nichts !

Der Zauberspruch

Fragend wandern zwei Augenpaare hin zum Vogel.
Der bleibt  aber ganz ruhig und sagt nur: "Na ja, ohne Zauberspruch geht natürlich gar nichts. Das ist so etwas, was man sich innerhalb der Familie mit vorgehaltener Hand im Flüsterton weitergibt, ein Familiengeheimnis. Ich denke, ihr wisst diesen Spruch natürlich."

Und "Zauberspruch? "tönt es gleichzeitig aus zwei Kehlen. Bei Schlifi bleibt der letzte Bissen im Hals stecken.
"Ich weiss nichts von einem Spruch", flüstert Schlufi, "du etwa Schlifi? "
Der hustet und hustet!

"Lasst mich nachdenken, wenn ich mich erholt habe! "

Nachdenklich sitzt er da, plötzlich ein "Hurra, wow,  jetzt fällt es mir wieder ein, irgend jemand in unserer Familie munkelte mal was von einem Zauberspruch. Ich wusste aber nicht, für was der geeignet war, aber ich denke, der war für genau diesen Zweck. Wartet mal, der lautete so, wenn ich mich recht erinnere:
Hokuspokus Haselnuss
Vogelbein und Fliegenfuss...
Der Trick damit gelingen muss. "

Voller Freude spricht ihn Schlifi auf, aber oh Schreck, nichts geschieht. Sie warten ein Weilchen, aber... einfach nichts.

Es ist zum Verzweifeln!

Da - wieder Krahs unverkennbare ärgerliche Stimme.
"Ihr beiden Helden, bin ich euer Kindermädchen, nichts scheint euch zu gelingen ohne mich, hä hä! Das ist der total falsche Zauberspruch. Wisst ihr was, wenn dieses Experiment noch gelingen soll, verabschiede ich mich für kurze Zeit. Damit ihr Gelegenheit habt, zu beweisen, dass ihr auch ohne mich etwas auf die Reihe kriegt!

Also nun zu diesem Spruch. Bin Egon einige Male heimlich gefolgt, und hörte ihn immer wieder. So habe ich ihn mir gut eingeprägt, was ihr auch tun solltet! Alle für euch wichtigen Dinge, solltet ihr euch immer gut merken, bei all euren weiteren Abenteuern!

Also nun zum richtigen Zauberspruch." Und der Rabe zitierte mit feierlicher Stimme:

"Eiris sazun isidi, sazun hera duoder.
Suma  insprinc hapadun ..."

"Suma blizzen muoder", ergänzte Schlufi. Ja, diesen Spruch kannte er.  Vor vielen Jahren, lange bevor Schlifi zur Welt kam, da lehrte ihn seine Mutter diese Beschwörungsformel.

Schlufi hatte damals keinen blassen Schimmer, weshalb. Aber jetzt fällt es ihm wie Schuppen von den Augen: Das ist Onkel Egons Geheimnis. Die Fahrkarte zum Raketenstart.
Mit einem langgezogenen 'Kraaaaaa' verabschiedet sich Vogel Krah.


Der Fehlstart

Es geht los", meint Schlifi ganz aufgeregt.

"Geduld Schlifi, ich muss noch mehr von diesem Zauberzeugs verschlingen", wirft Schlufi ein.
"Vor lauter Rätselraten um diesen Zauberspruch, habe ich total vergessen, dass ich davon essen sollte. "

Und so stopft er mehr und mehr von diesem angeblichen Wundermittel in sich hinein.
Offensichtlich satt geworden, raunt er feierlich seinem Bruder zu: "So nun kann es losgehen, unser nächstes Abenteuer. "

Ganz konzentriert stehen sie nebeneinander.

"Lass uns den Spruch gemeinsam aufsagen", bittet Schlifi seinen Bruder.
"Glaube ganz ganz fest daran, dann wird es gelingen! "

Ganz vorsichtig rezitieren sie den Spruch.
Nach einem kurzen Moment des Zweifelns, der beiden wie eine Ewigkeit vorkommt, geht alles drunter und drüber, und sie wissen nicht, wie ihnen geschieht:

Mal sind sie vorn, mal hinten, mal sind sie oben, mal unten, mal auf dem Bauch, mal auf dem Rücken. Mal wirbeln sie durch die  Luft, wie Papierdrachen im Sturm, mal fliegen sie Spielbällen gleich durch einen Garten , mal werden sie durch einen Fluss gezogen, wie Fische an der Angel, mal werden sie wie Wildschweine durch einen Acker getrieben.
Was da abläuft, macht den Eindruck, als ob zwei Zauberlehrlinge die Abwesenheit des Meisters für erste eigene magische Gehversuche missbrauchen würden.
Unkontrolliert und gefährlich geht es zu und her. Und ganz schön unheimlich.

Die beiden danken dem Himmel, als der Spuk allmählich nachlässt.
Wie geschundene Hunde liegen sie da auf dem Zauberberg und stöhnen bei der kleinsten Bewegung auf. Jeder Atemzug schmerzt. Es
ist ihnen,  als hätten sie Rasierklingen verschluckt, die allmählich von innen her ihre Körper aufschlitzen. Kein schönes Bild.

Geraume Zeit herrscht Schweigen. Keiner wagt auch nur ein Wort zu sagen.

Einsicht

Endlich bricht Schlifi das Schweigen. "Irgendwas haben wir anscheinend falsch gemacht."
"Und ich weiss auch was!" erwidert Schlufi kaum hörbar.
"Ist doch sonnenklar, warum es nicht funktioniert hat", belehrt Schlufi den kleinen Bruder. "Wir haben ja gar kein Ziel vor Augen gehabt! Wie soll die grosse Kraft wissen, wohin wir wollen?
Weisst du Schlifi, wir haben eigentlich grosses Glück gehabt, dass wir nur ein paar Kratzer abbekommen haben! Das hätte ganz anders ausgehen können..."

"Also komm, lass es uns erneut versuchen. Nicht weit von hier ist ein kleiner Wassertümpel, an dem wir beim Aufstieg auf den Zauberberg vorbeigekommen sind. Das sei unser Probeziel. Da wollen wir hin. Was meinst du Schlufi?"

"Na ja",  erwidert der, nicht ohne unüberhörbare Zweifel in seiner Stimme.

Laut sprechen sie ihr Ziel aus. Erneut wird gemampft, der Spruch wiederholt...

Zzzzittt. Wow - endlich. - Nun laufen ihre Beinchen wie geschmiert. Wie von Raketen angetrieben bewegen sie sich fort, und schon stehen sie mitten in der Pfütze.

"Uiuiui, wir haben es  geschafft",  ruft Schlufi voll Begeisterung! Wir sind Raketenegon!
Jetzt steht uns die ganze Welt offen!"

Tja. Leider liegt der Teufel auch hier im Detail:
Die beiden haben in ihrem Eifer vergessen an die Rückkehr zu denken. Aber Schlufi lässt sich den Sieg nicht so schnell nehmen.

 "Lass uns überlegen, wie wir in Zukunft Feenkrautvorrat für die Rückkehr mitnehmen können. Auf unsere grosse Reise."
Schlifi schaut mit grossen Augen in diejenigen seines Bruders.  "Grosse Reise? Hast du grosse Reise gesagt?"

"Kraa, kraa. Da seid ihr ja, ihr Chaoten. Kompliment. Hätte ich euch gar nicht zugetraut, dass ihr diese Nuss knacken würdet. Und erst noch in so kurzer Zeit.  Chapeau. Ich denke, jetzt braucht ihr mich nicht mehr.  Und ich kann mich endlich wieder anderen Aufgaben zuwenden. Ich möchte  mich deshalb von euch verabschieden. "

"Eigentlich schade, wir haben uns fast an dich gewöhnt", zwinkert Schlufi dem Vogel zu. "Danke für alles und machs gut!"

"Kra", macht der Vogel und "wer weiss vielleicht sehen wir uns auf der grossen Reise wieder."
Und weg ist er, wie er gekommen ist.

"Der hat die Ohren anscheinend überall!" meint Schlifi. "Übrigens: ich weiss jetzt auch, wie wir das Feenkraut für die jeweilige Rückkehr transportieren können."

"Na dann, schieße los", fordert Schlufi seinen Bruder auf.

"Also..."

































Wie es wohl weitergeht? Die beiden seltsamen
Vögel wissen es…